Rebecca Horn

Rebecca Horn (geb. 1944, lebt in Berlin und Paris)

Chor der Heuschrecken I, 1991
33 Schreibmaschinen, Blindenstock, Metallaufhängungen, Elektromotoren, Elektronik,
60 x 350 x 270 cm (ohne Blindenstock)
Hamburger Kunsthalle
Inv.-Nr. G-1991-6

Rebecca Horn hat an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg studiert und lehrte viele Jahre als Professorin in Berlin. Nach Einzelausstellungen an bedeutenden Institutionen wie beispielsweise dem Guggenheim Museum in New York und nach einer vierfachen (!) documenta-Beteiligung zählt sie heute zu den bedeutendsten deutschen Bildhauerinnen. Mit Chor der Heuschrecken I (1991), das noch im Jahr seiner Entstehung von der Stiftung für die Hamburgischen Kunstsammlungen angekauft wurde, besitzt die Hamburger Kunsthalle ein zentrales Werk dieser international renommierten Künstlerin.

Chor der Heuschrecken I wurde zunächst im Gründungsbau installiert, bevor es 1998 in die Galerie der Gegenwart umzog. Aus konservatorischen Gründen musste es Ende 2009 abgebaut werden. Mit Hilfe der großzügigen Unterstützung der Wüstenrot-Stiftung wird Chor der Heuschrecken I zur Zeit aufwändig restauriert und kann so zur Wiedereröffnung der Hamburger Kunsthalle im April 2016 erstmals nach vielen Jahren wieder präsentiert werden. Hier wird es Dreh- und Angelpunkt der umfangreichen thematischen Sammlungspräsentation „Magie der Dinge. Von der Tücke des Objekts“ (ab 29.4.2016 im ersten Obergeschoss der Galerie der Gegenwart).

Chor der Heuschrecken I ist eine kinetische Rauminstallation, bestehend aus 33 von der Decke hängenden historischen Schreibmaschinen, deren Tasten mittels Hubmagnete in Bewegung gebracht werden und dabei Geräusche produzieren. Kippbewegungen der Maschinen sowie „dirigierende“ Bewegungen eines auf den Boden gerichteten Blindenstocks ergeben gleichsam ein Konzert aus Geräuschen und Bewegungen, das den Betrachter in seinen Bann zieht.

Dass sich dieses Werk im Laufe der Jahre zu einem regelrechten Publikumsliebling entwickelte, ist seiner Vielschichtigkeit zuzuschreiben, die mithilfe von visueller Erscheinung, Geräuschen, Bewegung und der Dimension der Zeit eine Reihe an Assoziationen hervorzurufen vermag. Die Künstlerin selbst verweist auf die fast menschlichen Eigenschaften ihrer Maschinen. Neben aller Skurilität der Apparatur und des choreographischen Bewegungsablaufs besitzt Chor der Heuschrecken I eine bedrohliche Dimension – Initialzündung zur Entstehung des Werks war der Ausbruchs des Golfkriegs, in dessen Atmosphäre dieses emblematische Werk der Künstlerin entstand.

Die schon angesprochene Vielschichtigkeit macht die Qualität und den Reiz dieses Werks aus, stellt aber zugleich hohe Anforderungen an seine konservatorische Betreuung, Wartung, Pflege und Instandsetzung. Anspruchsvolle Elektronik und Technik, sowie eine eigenwillige Zusammensetzung aus historischem und neuen Material stellen die Restauratorinnen vor eine Reihe von Herausforderungen und Fragen, die es zu meistern und zu beantworten gilt. Welches ursprüngliche und für den Betrachter sichtbare, aber verschlissene Material – wie beispielsweise Motoren – darf durch heutiges, funktionierendes, aber eben anderes Material ersetzt werden, ohne in das authentische Erscheinungsbild des Werks zu sehr einzugreifen und es zu verändern? Welche Alterungs- und Gebrauchsspuren sollen gewürdigt, welche als störend eingestuft werden?

Die ungeheure Bandbreite an Materialien, derer sich die Gegenwartskunst bedient, und die Weiterentwicklung technischer Materialien und Technologien erfordern einen sehr spezifischen restauratorischen Umgang, bei dem es keine Allgemeinlösungen, sondern vielmehr individuelle, tastende Annäherungen gibt – vergleichbar dem Blindenstock in Rebecca Horns Chor der Heuschrecken I.

Tekst Dr. Brigitte Kölle, Leitering der Kunst der Gegenwart, Hamburger Kunsthalle
Foto: B. Sommermeyer, Hamburger Kunsthalle